📍📍Eine Mitmachaktion zum Nachdenken über das eigene Wohlergehen in privilegierten Ländern der Erde 📍📍
Sehr angetan habe ich diesen Artikel von @miauknowhow gelesen. Da ich mich ohnehin oft und derzeit auch viel gerade auf Steemit mit den Themen "Dankbarkeit" und "Rücksicht" sowie "Selbstreflektion vor Handlung", "Jammern auf hohem Niveau" und dem Blick über den eigenen Tellerrand befasse, kommentierte ich sogleich enthusiastisch, ich würde mich an der Aktion #meinefirstworldproblems beteiligen.
Und nun kam ich wirklich schwer ins Nachdenken. Ich gehöre nämlich in der Regel nicht zu den Meckerern, bin mir des großen Luxus (Selbstwahrnehmung, soziologisch betrachtet gehöre ich wohl der wohlhabenderen "Mittelschicht" an), in dem ich hier in Deutschland lebe, sehr bewusst. Neid und Missgunst sind mir seit vielen Jahren, in denen ich mit und an mir psychologisch und spirituell arbeite, fremd, ich habe gelernt, Dankbarkeit zu empfinden und mich an Kleinigkeiten, die das Leben einem schenkt, zu erfreuen. Weiter bin ich stets bemüht, mich nicht über Dinge zu ärgern, die ich nicht aktiv ändern kann.
Keine Sorge, ich will mich nicht herausreden. Natürlich habe auch ich Luxusprobleme. Die werde ich gleich benennen. Es werden aber nicht nur meine ganz persönlichen sein, sondern auch Aspekte, die mich ärgern, weil andere Personen für mich unverständliches Besitz- und Nörgelverhalten an den Tag legen, bzw. Probleme, die ich mir bereite, weil ich mich ärgere, obwohl ich mich doch gar nicht ärgern will.
Warum bin ich dankbar?
Meine Eltern sind, bzw. waren, Nachkriegskinder. Meine Mutter wurde mit 16 Jahren Vollwaisin, ihre Eltern hatten keine Rücklagen für sie bilden können. Mein Vater durfte nach sehr gutem Abschluss der Volksschule nicht weiter zur höheren Schule, weil er schnell eine Lehre anfangen musste, um seine Ursprungsfamilie zu versorgen. Mama wurde noch in der Ausbildung mit mir schwanger, "wir" durften in einem kleinen Zimmer im Haus meines Onkels leben. Dieser finanzierte meinem Vater auch die Meisterschule, damit die Familie sich eine eigene Wohnung leisten konnte. Als meine Zwillingsbrüder zwei Jahre später zur Welt kamen, ging das auch schon. Wir bezogen zu fünft eine Zwei-Zimmer-Wohnung, in der wir lebten, bis ich zwölf Jahre alt war. Im Nachhinein finde ich es zu schön, wie erfinderisch mein Vater war: Klappbetten im Wohnzimmerschrank, ein großer Esstisch zum an die Wand klappen im Kinderzimmer, in dem natürlich ein Etagenbett für die Jungs neben meinem Klappbett stand. Die klappbare elektrische Eisenbahn musste weichen, als mit Schuleintritt auch der Jungs ein (Klapp)Schreibtisch nötig wurde.
Meine ganze Kindheit über wurde ich zu Genügsamkeit und Sparsamkeit, die sich in meiner jungen Erwachsenenzeit sogar zu starkem Geiz entwickelte, erzogen. Wenn mal Geld übrig war, sparten meine Eltern auf ein eigenes Haus und in einen Ausbildungssparvertrag für die Kinder. Alles, was wir Kinder außerhalb der ausreichenden Versorgung mit getragenen Klamotten von den älteren Cousins und Cousinen, Spielzeug zu Weihnachten und zum Geburtstag oder einem Naschi nach dem Mittagessen begehrten, mussten wir von unserem Taschengeld bezahlen. Da habe ich dreimal überlegt, ob ich wirklich die "echte" Barbie-Puppe brauchte, die ich voll Neid bei meiner Freundin bewunderte.
Gleichzeitig stand immer eine Spardose auf dem Tisch, in die Wechselgeldpfennige vom Einkauf hineinwanderten und die wir ganz stolz jährlich den Sternsingern für arme Kinder auf der Welt spenden durften.
Heute pädagogisch undenkbar, hat meine Mutter tatsächlich Bilder von äthiopischen Kindern mit dicken Hungerblähbäuchen hervorgeholt, wenn wir unsere Teller nicht aufessen wollten. Schmerzlich habe ich dadurch aber tatsächlich gelernt, mir trotz kindlichen Futterneids, nie mehr aufzufüllen, als ich tatsächlich essen kann, am Buffet lieber dreimal nachzulegen und gegebenenfalls nichts mehr vom Leckersten abzukriegen, als unverschämt hohe Berge aufzutürmen, die dann weggeschmissen werden.
Ich war im Winter so unglücklich, dass ich keine Busfahrkarte bekam und die 7 km zur Schule dauerhaft mit dem Rad zurücklegen musste. Aber ich hatte ein Fahrrad und wusste, wie man einen Platten flickt!
Ich war so neidisch, weil ich bis in mein 17. Lebensjahr keinen anderen Urlaub als den in einem kleinen Ferienhäuschen im rasch zu erreichenden Nachbarland Dänemark kannte.
Es war mir peinlich, dass ich am Gymnasium das einzige Kind meiner Klasse war, dass nicht in einem Haus sondern in oben beschriebener Wohnung lebte.
Irgendwann in dieser Zeit, begann mein Vater dann tatsächlich, ein Haus zu bauen. Stein auf Stein, mit Hilfe von Freunden immer nach Feierabend. Die Fertigstellung dauerte zwei Jahre. Papa war so stolz.
Und auch aus meinem Neid und meiner Scham entwickelte sich Stolz. Stolz und Dankbarkeit. Dankbarkeit dafür, dass meine Eltern mich gelehrt haben, Dinge und Gegebenheiten wertzuschätzen, weil man etwas/viel dafür getan hat und dass man, wenn man "mehr" haben will, in der unsrigen Gesellschaft auch die Möglichkeit hat, dem zumindest nachzugehen.
Mit Stolz habe ich meine einzige Edwin-Jeans getragen, da selbst zusammengespart, nie mehr über die C&A-Hosen im Alltag die Nase gerümpft.
Ich bin dankbar, dass ich mein Abitur machen durfte und mein Studium zunächst durch Bafög, später durch einen guten Nebenjob finanzieren konnte. Dankbar für einen sehr gut bezahlten Arbeitsplatz, dankbar für meine materielle Zufriedenheit und dafür, dass ich nichts, was ich mir nicht leisten kann, als besonders erstrebenswert empfinde. Und ich bin stolz, dass ich mir alles selbst erarbeitet habe und mich der Neid anderer Menschen nur ein mitleidiges Stirnrunzeln kostet, weil ich selbst erfahren habe, dass einen dieser eher unglücklich macht, als sich mit dem (wenigen) zufrieden zu geben, was einen hierzulande noch deutlich besser leben lässt als anderswo.
Wohin ist der Geiz?
Mein Vater machte sich sein ganzes Leben lang für die Familie krumm, bis er sich viel zu früh buchstäblich totgearbeitet hat. Er gönnte sich nichts, fuhr immer alte Schrottkisten, hatte von "seinem" Haus nicht lange gut. Seine Lebensversicherung bescherte meiner Mutter und uns ein schulden- und somit (geld)sorgenfreies Leben.
Damals habe ich mir geschworen, dass mir das nicht passieren wird, ich begann, mir auch mal was zu gönnen ohne lange zu überlegen. Und da ich immer noch mehr als genug habe, gebe ich auch gern Menschen in Not etwas ab.
Ich strebe materiell nicht nach mehr, maximal nach mehr Zufriedenheit durch Zeit für mich, meine "Familie" (leider kinderlos, nur mein Mann und meine Tiere), meine Freunde. Und Gesundheit, die nicht durch stetes "Buckeln" geschädigt wird. Ich habe meine Wochenarbeitszeit reduziert und es reicht immer noch dicke.
Endlich meine Wohlstandsprobleme!
- Ich bringe dauernd die Geheimzahlen meiner beiden EC-Karten und der beiden Kreditkarten durcheinander. Zum Glück sind die PINs der Ikea-Rabattkarte, der Futterhaus-Sparkarte und der Tank-Karte automatisch das eigene Geburtsdatum.
- Ich ärgere mich sehr, dass der letzte Schuster im Umkreis von 40 Kilometern, bei dem ich immer meine hochwertigen Wanderstiefel restaurieren ließ, sein Geschäft aufgeben muss. Die gute handwerkliche Reparatur ist teurer als ein neues Paar "Billigtreter", die viele deshalb vorziehen. Die will ich aber nicht haben!
- Wegen der dämlichen Sollbruchstellen gibt es in unserem Zwei-Personen-Haushalt für fünf Apple-Geräte nur noch zwei Aufladekabel, die grundsätzlich mein Mann beansprucht.
- Neulich war ich mit meiner Freundin in einer All-You-Can-Eat-Sushi-Bar. Jedes Teilchen, was du zurückgehen lässt, weil du es nicht magst oder nicht schaffst, wird mit einem Euro zusätzlich berechnet. So möchte man dort die Lebensmittelverschwendung eindämmen. Steht auf der Karte und auf riesigen Plakaten. Ich habe mich sehr geärgert, als ein dicker Mann, der einen vollen Teller mit "igitt" von sich schob, darüber lautstark und wutschnaubend diskutierte.
- Eine Freundin, die ALG2 erhält, empört sich oft telefonisch bei mir, dass der Spritpreis über Nacht um ca. 5 Cent gestiegen ist. Wenn ich ihr sage, sie rege sich gerade über 2,50 € pro Tankladung, die sie einmal im Monat benötigt, auf, was einer halben Schachtel Zigaretten, von denen sie täglich zwei verpafft entspräche, ist sie beleidigt.
- Meine Mutter rechnet immer noch jeden Warenwert in D-Mark um. Ihre Altersrente, ihre Witwenrente und Papas Betriebsrente jedoch nicht.
- Der Landwirt ein paar Häuser weiter hat sich kürzlich entschuldigt, weil er ein Ei seiner Bio-Hühner, welches er per Hand aus dem Streu sammelt, nun für 25 Cent statt zuvor für 20 Cent verkauft.
- Als Studentin habe ich staunend vor dem Auto, das einst den Elchtest nicht bestanden hat, gestanden und beschlossen, so eines zu besitzen, "wenn ich groß bin". Jetzt habe ich das Ding seit zwölf Jahren und es läuft und läuft und läuft - ich habe keinen Grund, mir mal einen neuen Wagen zu kaufen.
- Bei der halbjährlichen Inspektion eben diesen Autos entschuldigt sich der Werkstattinhaber ständig für die Rechnung - die Stuttgarter Ersatzteile seien eben etwas teurer.
- Ich musste letztes Jahr Kapitalertragssteuer zahlen.
- Ich bin noch keine 50 Jahre alt, aber mein Haus ist nächstes Jahr schuldenfrei. Was bitte soll ich dann noch von der Steuer absetzen, wenn keine Darlehnszinsen mehr vorzuweisen sind?
Und jetzt der Hammer:
Ironieknopfan
- Letzten Samstag habe ich um 21:50 Uhr im Supermarkt keine frisch gebackenen Brötchen mehr bekommen!
Ironieknopfaus
Oft hilft mir diese Blickweise den Ärger schnell zu vergessen und diesen gegen Dankbarkeit auszutauschen.
Es ist schließlich ein Privileg, dass ich überhaupt in den Genuss komme, mich über diese Dinge aufregen zu können.
Habt ein schönes,
sorgenfreies Wochenende,
Chriddi
Bilder: CC0 auf pixabay.com (stevepb, andibreit, Capri23auto)
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