Berufsbedingt kenne ich vermutlich überdurchschnittlich viele Menschen mit dem sogenannten Down-Syndrom, einem Gendefekt, der Trisomie 21, mit der grundsätzlich körperliche wie kognitive Entwicklungsverzögerungen einhergehen. Kinder und Jugendliche, mittlerweile auch viele Erwachsene in meinem Alter und deutlich älter, denn die Lebenserwartung der Menschen, die häufig mit einem Herzfehler zur Welt kommen, wurde - dank der modernen Medizin - innerhalb der letzten 40 Jahre erheblich verlängert.
Wie viele Menschen mit Down-Syndrom kennst du persönlich oder hast sie schon "live" gesehen? Fehlanzeige? Kein Problem, das ist "normal", denn es gibt - "dank" der modernen Medizin - immer weniger von Trisomie 21 betroffene Personen. Hatten wir vor 25 Jahren an unserer Schule mit etwa 150 Schülern noch in jedem Jahrgang mindestens einen "Quoten-Downie", zählen wir heute genau drei Kinder mit dieser Behinderung bei annähernd gleicher Schülerzahl.
Nein, Trisomie 21 ist nicht heilbar. Es werden etwa 9 von 10 Föten nach pränataler Diagnose des Gendefekts abgetrieben.
Bei der Trisomie 21, dem durch den britischen Arzt John Langdon Down 1866 erstmals umfassend beschriebenen Syndrom, das früher aufgrund der häufig schräg gestellten Augen ohne deutliche Lidfalte als "Mongolismus" bezeichnet wurde, handelt es sich um eine Genmutation des 21. Chromosoms. Dieses ist, statt im menschlichen Genotypus "regulär" doppelt, dreifach abgebildet.
Die beschriebene Genanomalie ist seit etwa 50 Jahren bereits vor der Geburt durch eine Fruchtwasseruntersuchung, die mit der Gefahr einer Fehlgeburt behaftet ist, feststellbar. Diese Untersuchung, bei der der werdenden Mutter mit einer Kanüle durch die Bauchdecke Fruchtwasser aus dem Uterus entnommen wird, ist in Deutschland bei sogenannten Risikoschwangerschaften seit 1975 Standard. Seit etwa zehn Jahren ist das Down-Syndrom auch über einen komplikationsfreien Bluttest möglich, in Deutschland mussten schwangere Frauen die Kosten von ungefähr 150 € dafür bislang selbst tragen.
Am 19. September dieses Jahres wurde im Bundestag beschlossen, dass die gesetzlichen Krankenkassen aufgrund der hohen Testgüte die Kosten für die nicht invasive Blutuntersuchung nach der Gestaltung einer ausdrücklich ergebnisoffenen Beratungsbroschüre ab 2020 übernehmen.
Mit dem Einzug in den Bundestag ist die seit Jahrzehnten auf ethischer, moralischer, religiöser, medizinischer, (sozial)pädagogischer und auch wirtschaftlicher Ebene geführte Diskussion um die pränatale Diagnostik wieder in vollem Gange. Kurz zusammengefasst begrüßen die Befürworter eine erweiterte Entscheidungsfreiheit werdender Eltern, Gegner befürchten nun noch stärkere Selektion, da die vorgeburtliche Diagnose einer Behinderung in den meisten Fällen mit Euthanasie einhergeht. Ja, so wird weltweit eine präventive Abtreibung genannt, nur in Deutschland tut man sich aus bekannten historischen Gründen mit der Verwendung dieses Begriffs schwer.
Die Diskussion ist sehr umfangreich, die Argumente von Befürwortern wie Gegnern der pränatalen Diagnostik sind meist gut nachvollziehbar. Selbstverständlich kann ein Leben mit einem Kind mit Behinderung sehr erfüllend sein, es birgt aber gleichzeitig viele ungeahnte Herausforderungen. Deshalb ist es auch so schwierig, eine wertneutrale Beratung durchzuführen, zu der alle Instanzen, die eine werdende Mutter bei ihrer Entscheidung professionell unterstützen können, angehalten, teilweise verpflichtet sind. Um hier mal persönlich zu werden, behaupte ich, einer der Gründe, wenn nicht der einzige, weshalb ich dankbar bin, trotz starken Kinderwunsches niemals schwanger geworden zu sein, ist, damit niemals vor die Entscheidung einer Abtreibung nach pränataler Diagnose gestellt worden zu sein.
Die frühzeitige, durchaus schwerwiegende Entscheidung für oder gegen ein Kind mit Behinderung liegt einzig bei der Schwangeren. Deshalb ist der Beschluss, die Bluttests in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufzunehmen, der einzig richtige. Die medizinisch-technischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte sind nicht rückgängig zu machen, die Möglichkeiten einer pränatalen Diagnose bestehen. So wäre es in meinen Augen ungerecht, eine risikofreie Untersuchung nur Frauen bereit zu stellen, die sich diese leisten können, denn auch das wäre Selektion - wenn auch nicht eine um Leben und Tod.
Mit der nun beschlossenen Kostenübernahme ist die Debatte um Diagnosen von Behinderungen vor der Geburt noch lange nicht beendet. Und solange eine Behinderung in unserer Gesellschaft noch als Makel angesehen wird, wird sie bei allen EU-verordneten Inklusionsbemühungen niemals beendet sein!
Abschließend möchte ich dich mit einem gute Laune versprühenden Musikvideo des britischen Vereins "Wouldn't Change a Thing" zum Titel Shine von Take That aus der meiner Meinung nach nicht wirklich leicht verdaulichen Thematik entlassen.
Ursprünglich als Vatertagsprojekt konzipiert, wuchs die Idee zur Gestaltung des Videos "Dads Don't Count Chromosomes" zu einer professionellen Produktion heran, da die Väter, die "nur" zeigen wollten, dass sie ihre so viel Lebensfreude ausstrahlenden Kinder mit Down-Syndrom genauso lieben wie deren Mütter, Paramount Pictures zur Unterstützung akquirieren konnten.
We knew we’d never be able to match the mums’ ability to tug on the heart strings of the world so we went for some good-humoured competition instead! Dads who have children with additional needs are extremely under-represented and under-supported in this world and play a huge part in advocating for our children. We wanted to take the opportunity to shout from the rooftops how much our children are loved and welcome in our lives and how, just like the mums, we wouldn’t change a thing.
Jamie McCallum, Projektleiter
Wenn du magst, schaust du dir nun noch an, mit wem die Dads in den Wettbewerb getreten sind. Zur tragenden Musik von Christina Perri (A Thousand Years) wirkt "50 Mums | 50 Kids | 1 Extra Chromosome" der Mums etwas pathetischer, ist als Vorreiter mit über 6 Millionen YouTube-Clicks aber auch (noch) erfolgreicher.
Die in beiden Videos verwendeten Gebärden entstammen übrigens dem Kommunikations- und Sprachförderansatz MAKATON®, einer Möglichkeit der Unterstützten Kommunikation. Anders als bei internationalen Gebärdensprachen für Gehörlose, die auch Grammatik aufweisen, wird beim MAKATON®-Ansatz nur ein definiertes Kernvokabular durch Gebärden betont. Dies erleichtert Kindern mit eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten den Spracherwerb. Wörter, die nichts anderes als abstrakte Lautzeichen sind, werden durch immer wiederkehrende Gestik konkretisiert, somit eher verstanden und verinnerlicht.
Im Förderzentrum, an dem ich tätig bin, ist der Einsatz dieser Gebärden Teil des Schulprogramms - Schüler wie Lehrer sind mehr oder weniger konsequent bemüht, die durch vereinbarte Handzeichen unterstützende Kommunikationsmöglichkeit in den täglichen Unterricht zu integrieren.