Es bahnte sich ja schon seit Tagen an. Zumindest hörte ich immer wieder dieses Wort. Aus der Küche roch es anders als sonst, sie nannten es Plätzchenduft. Das Telefon klingelte öfter, unsere vier Wände wurden im Innern hier und dort mit kitschigem Tüddelkram geschmückt, der zuvor gut im Karton verpackt auf dem Dachboden lagerte. Als ich Herrchen fluchen hörte, weil es dort hinauf gescheucht wurde, ahnte ich bereits, dass zum Fest der Liebe wohl nicht alles hundertprozentig eitler Sonnenschein sein könnte. Die Reaktion auf meine Qualitätskontrolle der hölzernen Krippenfiguren bewies diese Ahnung. Eine aufmerksame Frohnatur wie ich, lässt sich aber nicht erschüttern, und so sollte ich in freudiger Erwartung heute meinen allerersten Heiligabend mit meinem Rudel verbringen.
Der Tag begann bereits anders. Statt sich umgehend um die geliebten Pelztiere zu kümmern (naja, wenigstens das Frühstück kam zur üblichen Zeit in den Napf), schrieb das Frauchen noch die letzten vier liegengebliebenen Weihnachtskarten. Was das wohl sollte? Ich fürchte, bei späteren Gesprächsanlässen wird der Deutschen Post AG die Schuld in die Schuhe geschoben. Was? Die Karte ist erst nach Weihnachten angekommen? Unglaublich. Ich hab' doch so an dich gedacht!
Der anschließende Gassi-Gang war auch nicht wirklich entspannt. Auf dem vorgegebenen Weg - am Briefkasten vorbei - trafen wir auf verschiedene Dorfbewohner, denen Frauchen nach kurzem Smalltalk ein "Frohe Weihnachten" zuträllerte. Hatte wohl echt was zu bedeuten, das macht es sonst nicht. Ich fand es nur interessant, dass eine Nachbarin von der noch zu garenden Rehkeule für Heiligabend berichtete, denn jene bringt nach so einer Wildmahlzeit die Reste in Knochenform zuverlässig bei uns vorbei.
Busy. Hier noch ein Anruf, dort noch ein Schleifchen, "unsere" Steem-Dingens auf SteemWorld gecheckt, Obstsalat (Hä? Ich will Fleisch!) geschnippelt, geduscht, angehübscht und... Kein Blick für den Hund. Na toll. Und... Los zu Herrchens Eltern. Aha. Heiligabend dieses Jahr auswärts.
Nanu, was für ein kleiner Baum! Weihnachtsbäume hatte ich mir wahrlich anders vorgestellt! Doch die Erklärung kam prompt: "Ihr habt ja jetzt einen Rüden. Wisst ihr noch, als damals der Labrador Sindbad das Bein... naja. Wir haben lieber ein Bäumchen auf den Tisch gestellt - sicher ist sicher."
"Wisst ihr noch, wisst ihr noch?", vernahm ich im Laufe der Gespräche öfter. Bei den Erinnerungen von Heiligabend im Schützengraben schaltete ich ab, der liebevoll verpackte Kalbsschenkel, mit dem ein Vorgänger von mir drei Tage zu tun gehabt hätte, ließ mich aufhorchen. "Bescherung" ist es also, worauf ich an diesem eher inaktiven Tag für mich warten muss...
Die schöne Bescherung erschien mit einem Handy-Pieps. Die Urenkel der über 90-jährigen gastgebenden Verwandtschaft schickten Herrchen zur Weiterverbreitung eine Gesangs- und Tanzperformance von "O, du Fröhliche" unterm Weihnachtsbaum. Extrem süß! Sagten die Zweibeiner jedenfalls. Das, was nach der zeitintensiven Erklärung, wie denn nun die Urenkel auf so ein kleines Gerät kämen, ohne dass das Telefon oder die Haustürklingel zuvor Signale gegeben hätten, heraus kam, war nicht mehr so süß. Jedenfalls nicht für extrem empfindliche Hundeohren. Die Alten nahmen die Challenge an! "O, du Fröhliche" wurde gesungen, gefilmt und weitergeleitet...
Meine Leute meinten, ich könnte das Video hier verwenden und damit dann eine Art YouTube-Influencer werden... Ähhh... Ich habe von dem "Rotkäppchen", von dem ich aufgrund der Beschreibung dachte, das sei der ominöse Weihnachtsmann, nichts genossen...
Die Zweibeiner begaben sich irgendwann von der Kaffeetafel an den Esstisch. Das war durchaus interessant, noch wusste ja niemand, was da kommen möge. Essen ist immer gut. Es roch nicht nach Fleisch. Aber gut. Egal. Viel wichtiger: Sie hatten die Kekse auf dem Wohnzimmertisch stehen lassen! Ihr kennt mein Talent...
Und jetzt kenne ich wirklich kein Fest der Liebe mehr. Ich hasse Denunzianten! Nuka hatte die Kekse auch schon wahrgenommen. Nuka klaut aber nicht. Sie ist kein Straßenköter, der sich selbst ernähren musste. Sie ist ein Herdenschutzhund, ein Wachhund. Sie hatte kein weiteres Interesse an den Keksen, als diese fest in ihrem bewachenden Blick zu halten. Schlug die blöde Kuh wohl so laut an, dass die gesamte Weihnachtsgesellschaft ihre boshaften Schreie auf mich lud, als ich mich heimlichst den Keksen näherte! Pffft... Vergiss (Stief)geschwisterliebe! Auch nicht an Weihnachten! Alltags wäre mir der Coup gelungen!
Als die Wogen sich geglättet hatten, war ich dann doch noch recht entzückt von Weihnachten. Es gab am Heiligabend nicht die für viele Schleswig-Holsteiner traditionellen Würstchen mit Kartoffelsalat. Würstchen sind ja grundsätzlich in Ordnung. Wenn keines übrig bleibt, leider nicht.
Puten, Enten, all das Geflügel, das mensch Weihnachten so gern isst - nichts für uns. Die Splitterknochen. Böse, wenn sie gegart sind.
Geilo! Es gab Karpfen! Mit allem drum und dran, was die Zweibeiner so an dieser Fischmahlzeit lieben. Nur die Haut mögen sie nicht! Alles klar?! Boah, bin ich satt, boah, ist Heiligabend schön!
Und ich freue mich auch, dass meine Leute recht trendy sind und neben der Karpfenhaut Gutscheine verschenken: Für 2020 werden für Nuka und mich sämtliche Steuern und Versicherungen übernommen!