📍📍Texte, bei denen es sich lohnt ganz genau zuzuhören 📍📍
Mittlerweile bedürfen Artikel der Erfolgsserie „DEUTSCHsprachige Interpreten der Extraklasse“ mit Sicherheit keiner Einleitung mehr. Wartet der Initiator dieser Bestsellerreihe, @w74, Meister des Kolbenfüllers, zwar immer noch auf Bosse, jenen jungen Mann, der als Beweismittel dafür herhalten musste, dass die Deutschlehrer der Lande abseits des „Bitch-Fuck-Ass-Raps“ keinen Grund zur Kapitulation befürchten müssen, weiß dieser dennoch ganz bestimmt zu schätzen, was ich euch heute zur Werterhaltung der Sprache der Dichter und Denker präsentiere:
Einstürzende Neubauten
Die Kapelle
Blixa Bargeld, geboren 1959, gründete 1980 die Band Einstürzende Neubauten. Als er vor fast vier Jahrzehnten gefragt wurde, ob er im Berliner „Moon Club“ spielen könnte, sagte er spontan zu. Fernab der Möglichkeit, Musiker oder Instrumente bezahlen zu können, rief Blixa ein paar Freunde an und bat sie, irgendetwas mitzubringen, aus dem „Musik“ entstehen könnte. Das daraus resultierende Szenario gilt als Geburtsstunde der NEUBAUTEN, deren bis heute bestehende Produktivität damals niemand zu prognostizieren vermochte.
Stilistisch war die Musikergruppierung, die heute aus Blixa Bargeld, Alexander Hacke, Jochen Arbeit, N.U. Unruh und Rudolph Moser besteht, immer schwer einzuordnen. Anfangs wurde experimentell zwischen Musik und Geräusch ausgelotet, „Industrial Trash“, angeblich stark beeinflusst durch Depeche Mode, entwickelte sich zu avantgardistischen Klangerlebnissen mit epischen Texten.
Bis heute lebt die Musik der Neubauten teilweise noch von Klängen und Rhythmen, die durch "Instrumente", die von deren Entwicklern nicht als Musikinstrumente konzipiert waren, erzeugt werden. Beispielsweise kommen Dieselaggregate, Kompressoren, Kreissägeblätter und ein breites Spektrum an Baumaterialien zum Einsatz. Ein genaues Hinhören lohnt sich auch hier.
Die Gruppe entfernte sich nach ersten Erfolgen ab Mitte der 1980er Jahre zunehmend aus der Punk- und Post-Industrial-Bewegung, die Musik wurde spätestens mit dem Album „Tabula Rasa“ bei bleibender Abstraktheit ruhiger und melodiöser.
Das Konstrukt EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN wird mittels seiner bahnbrechenden Mischung zu einer der wenigen deutschen Bands, die international einen echten Impuls aussendet und auf zahlreiche andere Bands und Kunstgenres, vom Tanztheater zu Bildender Kunst, und auch Film -von Schlingensief bis Tarrantino- bis heute inspirierend wirkt. Anfangs noch von den Medien als bizarre Mauerstadt-Kuriosität belächelt, etabliert sich die Band schon bald zur international gefragten Größe der Gegenwarts- und Pop-Kultur. Sie prägen eine ganze Generation und dienen auch heute noch als oft kopierte Blaupausen experimenteller Klangkunst und -performance.
Die Band fällt durch apokalyptische Phantasien, teilweise sehr provozierende politische Texte, aber auch lyrisch perfektionierte Liebeslieder immer wieder genauso auf wie durch ihre musikalischen Richtungswechsel. Damit treten sie den Beweis für die Wirkung ihrer „philo-akustischen Langzeittherapie“ an. Seit 2014 ehrt das Goethe-Institut die Musiker rund um Blixa Bargeld durch eine Wanderausstellung über die deutsche Kunst der 80er Jahre.
2016 erscheint das erste, mit einem ironischen Augenzwinkern zu verstehende „Greatest Hits“-Album der Einstürzenden Neubauten, das nach 35 Jahren einen hörenswerten Querschnitt der vielfältigen Bandgeschichte widerspiegelt. Einen weiteren Höhepunkt ihrer Karriere sollte die weltweit von Experten und Interessierten experimentell-musikalischer Kunstkultur anerkannte Band 2017 durch ein Konzert in der gerade mal seit zehn Tagen eröffneten Hamburger Elbphilharmonie erleben.
„Wir wurden ganz normal angefragt. Ich denke, da hat im Haus jemand eine gehörige Portion Humor, denn nach den ganzen Pleiten, Pech und Pannen, die dort im Zusammenhang mit der Elbphilharmonie passiert sind, eine Band in das neu eröffnete Gebäude einzuladen, die sich ‘Einstürzende Neubauten’ nennt, halte ich für eine sehr ironische Entscheidung.“
Alexander Hacke
Persönliches Statement
Ich war noch ein Kind als Einstürzende Neubauten gegründet wurde, als Teenager wurde ich aber auf die Gruppe aufmerksam. Ich war Mitte der 80er Jahre nicht ganz uncool, bezog die Vorschläge zur Entwicklung meiner musikfavorisierenden Prägung aus der „NDR2-Club-Nacht“, hielt mich als Hörer fern ab von Modern Talking & Co. Aber mit dem diabolisch wirkenden Blixa Bargeld und seiner Billy-Idol-Frisur konnte ich ganz und gar nichts anfangen. Ja, cool. Nee, da blieb ich lieber doch uncool.
Erst viele Jahre später vermochte mein um mehr als eine Dekade älterer Mann meine skeptische Stirnfalte, die bei der Wahrnehmung des Namens „Einstürzende Neubauten“ entstand, in ein genießendes Lächeln zu verwandeln.
Mein Schatz ist seit frühester Jugend ein Musikliebhaber, Musikkenner, Musikverfallener. Dabei ist ihm das Genre egal, Hauptsache gut. Als junger Kerl folgte er den Neubauten auf 50-Zuschauer-Konzerte, diskutierte mit dem sehr sympathischen Blixa und seinen Mannen fast hautnah über aktuelle, politisch brisante Themen.
Geduldig kramte er für mich aus seiner umfangreichen Sammlung eine LP nach der anderen heraus, bis mein Urteil sich änderte.
Es waren nicht nur die späteren musikalischen Wohlklänge, die meine Begeisterung für die Band schürten, sondern vorrangig diese in Verbindung mit den Songtexten.
Es handelt sich bei den Texten von Blixa Bargeld um lyrische Meisterwerke. Seine poetischen Ergüsse sind keine Wortspielereien, es sind Wortmalereien. Gepaart mit stilistisch stets variierender Musik entpuppen sie sich für mich zu exklusiven Gemälden der gehobenen Kunst!
Zutiefst betrübt ist es mir im vergangenen Jahr nicht gelungen, Karten für das quasi einen Steinwurf entfernte Konzert in der Elbphilharmonie zu ergattern.
Soundcheck
Letztes Biest (aus: „Halber Mensch“, 1985)
Die Interimsliebenden (aus: „Tabula Rasa“, 1993)
Stella Maris, feat. Meret Becker (aus: „Ende Neu“, 1996)
Ich gehe jetzt (aus: „Perpetuum Mobile“, 2005)
Nagorny Karabach (aus: „Alles wieder offen“, 2007)
Brauchst du noch mehr auf die Ohren? Nur zu!
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