G für Gesicht und A für ... - Wörter auf dem Abstellgleis --- #3

in #deutsch6 years ago (edited)

In Vorbereitung eines längeren Krankenhausaufenthaltes ihres Gatten bestickte die ältere Dame liebevoll zwei unifarbene Waschlappen, damit diese bei der täglichen Pflege von oberer und unterer Körperhälfte aus hygienischen Gründen keinesfalls verwechselt würden. Ein wohlgeformtes altdeutsches "A" für Antlitz zierte fortan einen der Lappen, der andere wurde durch ein "G" für Gesäß gekennzeichnet. Beim ersten Besuch im Hospital fragte die Dame nach dem Austausch der üblichen Genesungsbekundungen ihren Mann besorgt, ob er denn bei der Verwendung seiner Waschutensilien die sorgsam gestickte Kennzeichnung beachte. "Aber selbstverständlich," antwortete der Patient, "G für Gesicht und A für Arsch!"

Antlitz ist ein Ausdruck für das menschliche Gesicht, der schon seit langem vom Veralten, gar Aussterben bedroht ist. Meist wird er nur noch in gehobenen Stilebenen, in Literatur und Poesie verwendet.

Bereits im Althochdeutschen (ca. 750-1050 n. Chr.) war das Wörtchen antlizzi in Gebrauch. Es ist zusammengesetzt aus der Vorsilbe ant ("entgegen") und einem in der heutigen deutschen Sprache ausgestorbenen Wortstamm, der für "blicken" stand. Die ursprüngliche Bedeutung von Antlitz ist also "das Entgegenblickende".
Während der mittelhochdeutschen Klassik um 1200 war die Verwendung von "Antlitz" als Synonym für Gesicht gang und gäbe, im 16. Jahrhundert dann, zur Zeit von Martin Luthers Bibelübersetzung, galt diese schon als Ausdruck gehobener Sprache.

Germanisten haben in den Werken Goethes, einem der bekanntesten Vertreter der Weimarer Klassik Anfang des 19. Jahrhunderts, festgestellt, dass Johann Wolfgang von Goethe "Antlitz" sehr selten, hauptsächlich im Schriftverkehr mit Majestäten, benutzt hat.
1811 verfasste Johann Christoph Adelung, ein Wegbegleiter Goethes, das sprachwissenschaftliche Lexikon "Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart". Bereits diesem ist Folgendes zu entnehmen:

Das Wort Antlitz ist eine Benennung des Angesichtes, welche aber im gemeinen Leben nicht mehr üblich ist, sondern nur in der höhern Schreibart gebraucht wird, besonders von dem Angesichte solcher Personen, welchen man Ehrerbiethung schuldig ist“.


Gesäß nun ist die auch heute durchaus übliche und gängige Körperteilbezeichnung für die menschliche Steißverlängerung, unser Hinterteil, den Hintern, die beiden glutei maximi (Gesäßmuskel) auf denen wir sitzen (Wortstamm).
Das Wort ist nicht veraltet, wird aber gern von umgangssprachlichen Bezeichnungen wie Hintern, Po, Vier Buchstaben oder dem vulgären A-Wort verdrängt.

Sehr interessant ist die sprachliche Analyse von Po, denn der ist schon fast antik. Das seit dem 17. Jahrhundert belegte podex ist lateinischen Ursprungs und bezeichnet anatomisch den Anus bzw. After, also den direkten Enddarmausgang. Daraus entwickelte sich vermutlich ammensprachlich und verniedlichend Po oder Popo, woraus sich wiederum die Redewendung "Setz dich auf deine vier Buchstaben" ergeben hat.

Dazu fällt dem nunmehr belehrten Norddeutschen nur noch eines ein:

Klei mi an Mors!


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22.07.2018


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Isch habs gleich gemerggt, dass du gut bist. Super, Chriddi! Waidä so!

Hihi, und ich habe mich gleich sehr darüber gefreut!
Der Text gefällt dir ja sicher auch... :-)

Hab ich doch geschrieben. Der Text und alle dieser Reihe. Das ist dein ganz eigenes Kapitel auf dem Steem. Wobei der A und G Text schon die Krönung ist.

Hey chriddi,
Ich habs bis jetzt nie geschafft dir hier zu schreiben, aber diesmal muss einfach sein. Die kleine Geschichte am Beginn hat mich nämlich zum Lachen gebracht.
Finde das immer ganz spannend wo Wörter ihren Ursprung finden und finde mich auch immer wieder mit Freunden in Diskussionen, wenn uns ein Wort über den Weg "läuft", von dem wir nicht eruieren können woher es kommen könnte. So zum Beispiel auch Firlefanz - find ich total cool, dass das in deinem letzten Post vorkam.
Freu mich auf mehr Wörter ;)

Hallo Vio,
umso mehr freut es mich, dass du es jetzt geschafft hast 😊
Wie schön, dass dir die Geschichte gefällt, das ist "meine"! Der Rest ist zusammengesammeltes Wissen von allen möglichen Internetseiten und aus meinem etymologischen Lexikon. Letzteres ist schon fast zur Bettlektüre geworden, weil es mir einfach so viel Spaß macht, mich mit den Ursprüngen unserer Sprache zu befassen und dabei gleichzeitig allem Anschein nach einen Nerv der (jungen?) Steemit-Leser getroffen zu haben.
Ich bin ständig auf der Suche nach "neuen" Wörtern und Redewendungen. Gar nicht so einfach, der daraus entstehende Artikel soll ja nicht einfach belehrend, lieber auch amüsant sein.
Bis bald,
LG, Chriddi

Das ist dir auf alle Fälle gelungen und trifft anscheinend wirklich den Geschmack vieler. Ich find ja, man darf gerade in unserer Internet"slang" - Zeit und generell hektischeren, schnelleren Lebensweise den Sinn für Wort und Bedeutung nicht verlieren.
Glaub ich dir sofort, dass es dir Spaß macht - das merkt man :)

Schöner Beitrag, gefällt mir sehr :)
Was noch zu deutschen Wörtern zu sagen ist, dass wir zurzeit
in einer Phase sind, in der die Bedeutung der Wörter nach Lust und
Laune verdreht und der eigentliche Sinn zerstört wird.

Und was mir auch immer öfter negativ auffällt ist,
dass für viele neue Dinge gar kein deutscher Begriff dafür geschaffen wird,
sondern zum großen Teil nur noch englische Begriffe dafür existieren.
Finde ich eigentlich schade, weil es dadurch nur eine Frage der Zeit ist,
bis die deutsche Sprache komplett verschwunden sein wird.

Vielen Dank für deine nette Rückmeldung 😊

Ich "spiele" auch sehr gern mit Wörtern herum, solange die eigentliche Bedeutung noch bekannt ist, ist das auch in Ordnung. Besonders freue ich mich jährlich über die Verleihung des Preises zum "Unwort des Jahres", bei der man sich die "Sprachvergewaltigung" mal so richtig vergegenwärtigen kann.

Jo, ich bin auch ein Gegner von Anglizismen, in sofern sprichst du mir aus quasi der Seele. Aber das ist auch etwas doppelmoralisch, denn einer meiner Lieblingsfreudensausdrücke ist "cool". Mittlerweile denke ich, dass zur Entwicklung einer lebendigen Sprache auch die "Einbürgerung" anderssprachiger Ausdrücke gehört. Haha, z.B. "Handy", was jeder andere Weltbewohner als "Mobile" bezeichnet.
Solange es Etymologieinteressenten und -wissenschaftler sowie Liebhaber der alten Klassiker gibt, wird Deutsch nicht aussterben. Die Entwicklung will selbstverständlich beobachtet werden.

LG, Chriddi

Das Thema mit den Anglizismen, die immer stärker in unseren Sprachgebrauch aufgenommen werden, verfolge ich auch schon seit einiger Zeit mit großem Interesse:

Durch das Internet wird Englisch immer allgegenwärtiger, sämtliche Serien, Tweets von Stars oder die gesamte Kultur rund um Memes (mir fällt gerade auf, dass die Worte "Tweets" und "Memes" auch gewissermaßen Anglizismen sind, für die es aber keine wirklich treffende deutsche Übersetzung gibt) kommen wir permanent mit der englischen Sprache in Kontakt.

Ich selbst ertappe mich immer häufiger dabei, wie ich englische Wörter benutze, weil sie mir schneller einfallen, als ihre deutschen Pendants. (-> ein Gallizismus, aber das ist ein anderes Thema ;))

Wenn ich alte Videos von mir, auf denen ich gesprochen habe, mit Videos von heute vergleiche, fällt auf, wie sehr sich meine eigene Sprache über die Jahre hinweg entwickelt und verändert hat.
Aber genau das ist es, was mich an Sprache so fasziniert: Sie ist ständig in Bewegung und das schafft Freiheit und fördert gewissermaßen die Kreativität.

Diese Kommentierung ist wieder so schön, dass ich kurz davor bin, einen Bildschirmschuss zu machen. Diesen drucke ich aus und hänge ihn an meine Ansteckwand aus Kork. Außerdem werde ich ihn über meinen Piep verbreiten und, versehen mit einer Unterschrift, an all unsere Fanatiker aus dem Zwischennetz verteilen.
Küüüüühl!!! 😎

Deine Serie ist so spannend! Hab mich wirklich gefreut, als ich sah, dass du wieder einen Teil geschrieben hast!

Die Worte Gesäß und Antlitz sind mir gut bekannt, allerdings hab ich es noch nie im Zusammenhang mit den genau umgetauschten Anfangsbuchstaben der Wörter Gesicht und Arsch gesehen - sehr lustig und wenn man so nachdenkt auch etwas "eklig" (sofern man ein Problem damit hätte, sich mit der Arsch-Seite des Handtuchs das Gesicht abzutrocknen)

Die weiterführenden Erklärungen zu Po, bzw vier Buchstaben kannte ich nicht und ich freu mich, wieder was gelernt zu haben!
Danke!

Oh, Melvin, du bist so klasse! Ich freue mich immer wieder über deine Kommentare!
Solange man A & G für sich selbst definiert, wird's nicht eklig. Du darfst dir das Handtuch halt nicht mit anderen (gebildeten?! 😂) Leuten teilen...
LG, Chriddi

Ich dachte schon du strickst im Sommer!!!! Schöner Wortwitz als Einstieg - ob es jetzt zur Wortrettung kommt? Ich nutze nicht die gehobene Variante, trage also nicht zur Bewährung bei;-) Schön, dass du so viel Freude an Sprache hast - da haben wir alles was von...

Nö, ich stricke im Sommer nicht und sticken kann ich gar nicht 😉
Vielen, vielen Dank für deine Rückmeldung! Es freut mich kolossal, wie gut diese "Serie" ankommt. Aber vermutlich gelingt es mir tatsächlich, meine eigene Freude daran rüberzubringen und dann ist so ein Ding authentisch.
Keine Sorge, ich rede nicht wie ich schreibe, wirste bald sehen, äh hören 😉
LG, Chriddi

Derzeit beschäftigt mich die deutsche Sprache und die Wirkung einzelner Worte sehr stark, daher vielen Dank für deinen Artikel, den ich sehr gern gelesen habe.

Hey, vielen Dank für deine Rückmeldung, freut mich sehr!
Ich bin mittlerweile schon fast süchtig danach, dem Ursprung der Wörter auf den Grund zu gehen, macht echt Spaß.
LG, Chriddi

Genial =) Ich musste gerade sehr sehr lachen =D
Danke dir dafür!
Ich bin ja ein riesiger Fan von deinen in Vergessenheit geratenen Wortererklärungen! Bitte nicht aufhören damit ;)

Beste Grüße
Sarah

Vielen Dank für die tolle Rückmeldung!
Ich werde mich bemühen, am Ball zu bleiben und rechtzeitig zu merken, wann das Thema ausgelutscht ist ;-)
LG, Chriddi

Du wirst den Riecher bestimmt dafür haben ;)
Einen schönen Abend wünsch ich dir!
Beste Grüße aus Dänemark
Sarah

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