Der Orkan "Sabine" hat uns am Wochenende schwer herumwütend besucht, seine Ausläufer sorgen noch heute für eine extrem ungemütliche Wetterlage, weshalb ich froh bin, vor dem warmen Kamin in sonnigen Urlaubserinnerungen schwelgen zu dürfen. Und so nehme ich euch nun mit auf die dritte und letzte Wanderung, die wir während unseres Kurztrips nach Mallorca genossen haben. Drei volle Tage Balearen, drei Wanderungen - folgt mir also bitte nach La Trapa und Valldemossa zum Einstieg in atemberaubende Höhen von der kleinen Badebucht Cala Sant Vicenç im Nordwesten der Insel aus! Keine Sorge: Diesmal wandern wir nur etwa sieben Kilometer - die es selbstverständlich in sich haben.
Es gibt einen Weg von der Cala Sant Vicenç hinauf zur Punta de Coves Blanques, sogar einen recht gut ausgebauten, sanft ansteigenden Schotterweg, den ich mit gutem Gewissen trainierten Rollstuhlfahrern empfehlen würde. Dieser beginnt an einem unverschlossenen Gatter samt Denkmal für die aus dem Spanischen Bürgerkrieg (1936-39) hervorgegangenen republikanischen Kriegsgefangenen der Putschisten unter dem spanischen Diktator General Francisco Franco, welche die Zuwegung zu als Munitionslagern genutzten Stollen, die ebenfalls mit Blut, Pike und Spaten in den Fels gehauen wurden, in Zwangsarbeit anlegen mussten.
Doch wie man an unseren bisherigen Erfahrungen, dargestellt in den vorherigen Beiträgen dieser kleinen Reisebericht-Trilogie, erkennen kann, haben wir Freundschaft mit den gepunkteten Linien auf der Wanderkarte geschlossen, und so entschieden wir uns für einen Aufstieg direkt an den Klippen, was zunächst einmal nur zu Beginn Trittsicherheit und Schwindelfreiheit voraussetzte.
Immer wieder von kleineren Kletterpartien, die den mittlerweile routinierten Tramuntana-Gebirgsbezwinger nicht weiter erschütterten, unterbrochen, bewegten wir uns nun relativ leichtfüßig über stark verblocktes, scharfkantiges Gelände, dessen Untergrund abwechselnd aus blankem Fels und einer Art Trockenrasenfläche bestand. Die Pflanzenwelt präsentierte sich mit Gräsern, Kräutern, Flechten, von Ziegen bis ins Gehölz abgefressenen Rosmarin- und Thymianbüschen, kniehohen Stechpalmen und winzigen Kiefern, deren Wurzeln wie durch ein Wunder Halt in Felsspalten finden.
Windig war es dort oben auf dem Plateau de Coves Blanques. Heftig böig, so dass wir uns nur kurzfristig und mit einem mulmigen Gefühl an die Klippenkante heranwagten, um die unvergleichliche Aussicht wieder und wieder zu genießen.
Die wilden Bergziegen ließen sich von den starken Luftbewegungen nicht beeindrucken...
...und auch andere sturmerprobte Vierfüßler setzten ihren Weg zielstrebig fort.
Letztere nahmen eine erholsame Rast im Windschatten jedoch hin und wieder gerne an und ließen den Blick in die Ferne schweifen.
Die Küste ist am Nordwestzipfel Mallorcas sehr rau und schroff, ähnliche Felsformationen habe ich bisher nur im hohen Norden Norwegens gesehen. Als wir nach gut 90 Minuten Geländemarsch die Spitze der Hochebene, die Punta de Coves Blanques erreichten, konnten wir uns davon mit einem phantastischen Blick auf die Serra del Cavall Bernat und nördlich liegende Steilklippen ein genaueres Bild machen. Diese um die 400 Meter hohen Felsen ragen nahezu senkrecht aus dem Meer heraus.
Wir erklommen den oben erwähnten ausgebauten Weg über das lose Geröll einer eingestürzten Mauer, betraten kurz die Stollen, ließen von einer gründlichen Inspektion der Höhlen jedoch ab, weil der Schein der Handy-Taschenlampen gerade ausreichte, noch eben die eigene Hand vor den Augen zu sehen.
Den Rückweg wollten wir auf der geebneten Piste aber noch nicht antreten, sondern begaben uns rechts am Höhleneingang vorbei einen schmalen Pfad hinauf, der uns durch von anderen Wanderern aufgeschichteten Steinhäufchen gewiesen wurde.
Diese "Steinmännchen" markierten hier und dort sporadisch die Richtung zum äußersten Ausläufer der Serra de Sant Vicenc rund um den Puig de l’Aguila (214 m).
Von hier oben konnten wir über die Klippen gen Süden schauen, wo uns imposante Felsen erahnen ließen, welche Gewalten bei der Kontinentalplattenverschiebung für die Entstehung der balearischen Inselgruppe als Verlängerung des Andalusischen Faltengebirges vor etwa 20 Millionen Jahren durch Auffaltung von Gesteinsmassen verantwortlich zeichneten.
Wir "spazierten" noch ein wenig auf der Punta de l’Aguila, konnten dabei teilweise bis auf die nordöstliche Seite Mallorcas in die Bucht Badia de Pollença blicken.
Dann ging es abwärts. Steil. Beängstigend steil.
Ich bin einmal in einem Freizeitpark eine künstliche Kletterwand hinaufgestiegen. Doch erstens ist bei genügend Krafteinsatz "hoch" einfacher als "runter" und zweitens war ich damals durch Seile gesichert und trug einen Helm. So ganz wohl war uns beim folgenden abenteuerlichen Abgang also nicht, obwohl die Kräfte der Natur durch Auswaschungen für kleine Kerben im Kalkgestein gesorgt haben, die man als Stufen und Griffe nutzen konnte.
Als mein Mann, der mutig voran schritt, einen sicheren Stand hatte, schoss er tatsächlich ein Foto von seiner zitternden, zeternden Frau. Jenes teile ich jedoch nicht mit euch - das Gefühl, das während unseres Abstiegs stete Gemecker der "Wachzicke" klänge wie purer Hohn, ist mir noch in bester Erinnerung.
Nach so viel Sport und noch mehr unvergesslichen Eindrücken bei 20° Celsius, sollte eine Abkühlung in den sanften Wellen des Mittelmeeres wohl genehmigt sein - okay, mit Einschränkung: Im Februar dürfen nur die Harten die Wassertemperatur im Ganzkörperverfahren kontrollieren, die bis Oktober in der Ostsee baden...
Und dann? Tja, und dann verlor der BvB am 4. Februar 2020 gegen Bremen - vermutlich, weil wir den Dortmunder Mannschaftsflieger bereits beim Abflug im feucht-trüben Hamburg okkupiert hatten und Marco Reus zu viele unserer Gummi-Bärchen aß...
Deshalb lasse ich mir jedoch auch im zarten Alter von 50 Jahren keine grauen Haare wachsen, sondern lese zum dritten Mal Un Hiver à Majorque von George Sand (Lohnt sich!), höre Frédéric Chopins Preludes, Op. 28, Nr. 15, die er während seines Mallorca-Aufenthalts 1838/39 komponierte, und träume von vergangenen sowie definitiv zukünftigen Reisen auf die überwältigend schöne Hauptinsel der Balearen!