Wieder einmal ist es @muelli, der für die Entstehung eines meiner Beiträge verantwortlich zeichnet. Ich weiß auch nicht, was dieser Mann hat, das dazu führt, dass ich ihm keine Bitte abschlagen kann. Und so kommt es, dass ich mich als bekennende Challenge-Verweigerin der wirklich guten Idee von @mammasitta öffne und hier sieben Bücher, die ich sehr gern gelesen habe, vorstelle. Es werden allerdings sieben Titel auf einmal sein, da ich weder Lust noch Zeit habe, euch täglich mit einem Beitrag auf die Nerven zu gehen. Wild durcheinander gewürfelt, ohne besondere Prioritäten, dürft ihr nun nachvollziehen, was sich mindestens einmal in meinen Händen, vor meiner Nase und in meinem Bett befunden hat, wobei ihr eine kurze Inhaltsangabe über euch ergehen lassen müsst, denn die reine Präsentation eines Cover-Fotos empfände ich als zu gering schätzend gegenüber eines der wertvollsten Kulturgüter, die wir besitzen: Das gedruckte Buch.
Günter Grass: Die Box (2008)
Ich gehörte zu den Jugendlichen, die die Pflichtlektüre Die Blechtrommel (1959) bereits in der 10. Klasse zu ihrem mindestens achtmal gelesenen Lieblingsbuch kürten. Der Autor bekam das "Lieblings" gleich mit aufgedrückt und ließ mich nie mehr los. Ich mag Grass' ungeschminkte Offenheit, seinen Zynismus, seinen Humor, vor allem seine Sprache, sein unwirklich, ihm jedoch leicht, erscheinendes Spiel mit Sätzen, Wörtern, sogar Buchstaben. Sein Sprachgebrauch fasziniert, ich liebe es, seinen Schachtelsätzen zu folgen, die sich ohne weiteres über eine ganze Seite schlängeln können und wortgewandt winzige Details oder Stimmungen einfangen. Blumig und adjektivlastig, gleichzeitig schonungslos auf den Punkt gebracht.
"Die Box" ist eine alte Kastenkamera, eine Agfa-Box, die der Fotografin Marie gehört. Sie besitzt auch eine Leica und eine Hasselblad, doch ihren Freund, den Schriftsteller, begleitet Marie seit Ende des Zweiten Weltkrieges für die Illustration seiner Bücher mit der Box. Es ist etwas Besonderes an "Mariechens Wünsch-dir-was-Box", denn sie nimmt Vergangenes und Zukünftiges auf, oft das, was der Erzähler gar nicht sehen will, noch öfter, was er gerne hätte.
"Vatti" ruft seine acht erwachsenen Kinder aus vier Beziehungen zusammen. Beim Betrachten der alten Box-Bilder inszeniert Grass seine Kinderschar, die berichtet, wie ihr und sein Leben so war und wie und als was das "Väterchen" in seinen verschiedenen Lebensetappen figurierte. Wir lernen den liebevollen, aber auch den karrierebesessenen Vater und Ehemann kennen. Die Box zeigt uns, wie und wo Grass gelebt hat, welche Umstände ihn zur Hingabe zum Beruf, zur Kunst, zur Politik und zu Frauen, reuevoll selten zu seinen Kindern getrieben haben.
Die Erzählung ist zu einem großen Teil autobiographisch, selbstverständlich auch fiktiv. Sie wirkt so unglaublich ehrlich, authentisch und menschlich, dass man glaubt, mit an Grass' Esstisch zu sitzen und über Familieninterna, Erlebnisse und Empfindungen der Nachkömmlinge gleichberechtigt zu lachen oder zu weinen.
Anne B. Ragde: Das Lügenhaus (2007)
Die in ihrer Heimat Norwegen sehr bekannte und preisgekrönte Autorin Anne B. Ragde zeigt in Das Lügenhaus die Geschichte einer zerrütteten Familie mit liebevoll beschriebenen Charakteren, wie sie unterschiedlicher nicht sein können, auf.
Da die Mutter dreier Brüder nach einem Schlaganfall im Sterben liegt, treffen sich drei blutsverwandte Männer, die sich jahrelang nicht gesehen haben, auf dem elterlichen, sehr heruntergekommenen Schweinemastbetrieb. Tor, der älteste Sohn, der nur wegen der Tradition den Hof der Eltern als Bauer übernommen hat, Margido, der sich als Bestattungsunternehmer selbstständig gemacht hat und in seinem Beruf und den Geschichten der Verstorbenen aufgeht, und Erlend, ein homosexueller Schaufensterdekorateur, der mittlerweile in Kopenhagen lebt, treffen ungewollt aufeinander und lassen durch ihre Erinnerungen ein familiäres Sozialdrama entstehen. Dies wird amüsant und erfrischend dargestellt, so dass man vielfach schmunzeln muss und trotzdem bis zum Schluss gespannt der Aufdeckung des Familiengeheimnisses entgegen fiebert.
Das Lügenhaus ist der erste Teil einer Trilogie, wobei alle drei Romane völlig unabhängig voneinander gelesen werden können, da sie in sich abgeschlossen erscheinen. Einsiedlerkrebse (2008) ist als zweiter Band genauso empfehlenswert, wie das Debutbuch, auf Hitzewelle (2009) hätte die Autorin meiner Meinung nach verzichten können, hier wirkt die Fortsetzung der Familiengeschichte in meinen Augen etwas erzwungen.
Donna Tartt: Der Distelfink (2013)
Die amerikanische Autorin Donna Tartt ist in ihrer Heimat eher für Kurzgeschichten populär, für ihren dritten Roman Der Distelfink, an dem sie unter Berücksichtigung ausführlicher Hintergrundrecherchen fast zehn Jahre arbeitete, erhielt sie 2014 den Pulitzer-Preis für Belletristik.
Bei einem Besuch des New Yorker Metropolitan Museum of Art wird Theodor Decker Opfer eines Terroranschlags. Während er sich eigenständig aus den Trümmern, von denen die Hilfstruppen glauben, dass daraus niemand mehr lebendig zu bergen ist, befreit, klemmt er sich das relativ gut erhaltene Lieblingsgemälde seiner Mutter, Der Distelfink des Delfter Malers Carel Fabritius von 1654, unter den Arm, welches seitdem als verschwunden bzw. zerstört gilt. Welche Rolle das mitgeführte Kunstwerk, das teilweise sogar bei Theo in Vergessenheit gerät, in seinem Leben noch spielen wird, kann Decker zu dieser Zeit nicht ahnen, Donna Tartt aber vermittelt diese dem Leser äußerst spannend.
Der anspruchsvolle Unterhaltungs- und Bildungsroman ist eine Mischung aus Road-Abenteuer und Thriller, der das Heranwachsen, die Entwicklung von (kulturellen) Interessen eines zunächst 13-jährigen Jugendlichen, der sich nach ohnehin schwierigen Erziehungsbedingungen plötzlich als Waise dastehend durch soziale Abgründe inklusive Drogenkonsum und Kriminalität schlägt, darstellt. Der Distelfink hat mich viele Stunden gefesselt.
Mark Haddon: Supergute Tage (2003)
Mark Haddon ist in Großbritannien als feinsinniger Kinder- und Jugendbuchautor sehr bekannt, "Die sonderbare Welt des Christopher Bone" ist sein erstes auch für Erwachsene konzipiertes Werk, das sogleich mit vielfältigen Literaturpreisen überschüttet wurde und sich auch hier wochenlang auf der Spiegel-Bestsellerliste befand.
Allen Gerüchten zum Trotz, ist Haddon kein Autist, sein Buch hat nicht wirklich 233 Kapitel, diese sind nur in Anlehnung an eine Teilleistungsstärke seines mit dem Asperger-Syndrom "behafteten", 15-jährigen Protagonisten durch Primzahlen nummeriert.
Christopher lebt mit seinem alleinerziehenden Vater in einer englischen Kleinstadt. Der grundsätzlich, vor allem im mathematischen Bereich, begabte und für Details sehr aufmerksame Junge verfügt über ein fotografisches Gedächtnis und unterliegt bestimmten Zwängen, diese insbesondere auf Farben bezogen. Er liebt die Farbe Rot, hasst Gelb und Braun. Er trägt immer rote Lebensmittelfarbe bei sich, die er seiner Nahrung beimischt, da er sie sonst nicht zu sich nehmen kann. Bei gelbem oder braunem Essen wird ihm übel, da nützt auch die allzeit parate Farbtube nichts. Ganz typisch für Personen mit autistischen Zügen, sind auch für Christopher zwischenmenschliche (Kommunikations)beziehungen schwer nachvollziehbar und ihm dementsprechend ein Gräuel, dem er sich soweit wie möglich entzieht. Er versteht weder Witze noch Ironie, kann Mimik, Gestik oder Satzmelodien anderer Leute nicht interpretieren.
So kommt es, dass die wegen seines Fundes des mit einer Mistgabel erschlagenen Nachbarhundes herbeigerufene Polizei, Christopher nicht ausreichend vernehmen kann und die Ermittlungen einstellt. Der Junge beschließt, dem mysteriösen Tod des Pudels selbst auf die Spur zu kommen und beginnt, sich langsam der sonderbaren Welt der Erwachsenen zu öffnen.
Für Christopher Boone sind supergute Tage dadurch gekennzeichnet, dass er fünf rote Autos direkt hintereinander entdeckt (drei rote Autos bedeuten einen ziemlich guten Tag, vier einen sehr guten). Für mich kann so ein Tag supergut sein, wenn ich ein supergutes Buch wie das vorliegende ungestört in einem Zug fasziniert und amüsiert durchlese.
Juli Zeh: Unterleuten (2016)
Die Juristin, vielfach preisgekrönte Schriftstellerin und Kolumnistin für den Spiegel, Juli Zeh, ist seit ihrem Debutroman Adler und Engel (2003) eine ganz feste Instanz in der deutschsprachigen Literaturwelt, die ihren Namen auch schon für politische Einflussnahme (nach Aufruf Günter Grass') genutzt hat. Sie widmet sich gern ethisch-moralischen, gesellschaftskritischen, politischen Themen, mit ihrem Schreibstil gelingt es ihr - wie ihrem Vorbild Grass in vielerlei Hinsicht - Sachverhalte und Personen äußerst präzise, doch sprachlich bunt darzustellen.
An Unterleuten, dem im Roman gleichnamigen, fiktiven Dorf, kam ich nicht vorbei, denn auch ich lebe in einem sehr kleinen Dorf, bestehend aus seit Generationen einheimischen sowie zugezogenen Bewohnern, unter Leuten, auch wir diskutieren auf kommunalpolitischer Ebene seit vielen Monaten über die Errichtung von Windkraftanlagen. Kauzige, schrullige Dorfbewohner haben auch wir ebenso wie emanzipierte Besserwisser, nur hat sie noch niemand so liebevoll detailliert, teilweise auch überspitzt charakterisiert, wie Juli Zeh es mit ihren Protagonisten tut. Naja, und ich lebe nicht irgendwo in Brandenburg, es fehlen Berliner Aussteiger, die mit großstädtischem Scheuklappenblick und Arroganz jedes Fettnäpfchen der Provinz auffinden, ebenso wie der nach wie vor vorhandene Ossi-Wessie-Konflikt mit Wendegewinnern und -verlierern. Unter diesen Umständen muss es zu Kontroversen kommen, die Dorfidylle wird zum Austragungsort global übertragbarer Kommunikationsdesaster.
Unterleuten ist ein in meinen Augen sehr empfehlenswerter Gesellschaftsroman, unterhaltsam und spannend, bestückt mit hohem Wiedererkennungswert für klischeehafte Persönlichkeitsstrukturen, wie sie überall zu finden sind. Geeignet für alle, die schmunzelnd gewillt sind, sich ansatzweise darauf einzulassen zu akzeptieren, dass es neben der eigenen moralischen Wahrheit, die selbstredend stets die beste ist, auch noch andere Wahrheiten gibt.
Arto Paasilinna: Nördlich des Weltuntergangs (1992)
Begnadet skurril, obskur, grotesk, bizarr, originell - viel mehr Adjektive fallen mir für die Beschreibung der über 50 Romane des populären finnischen Autors Arto Paasilinna, von denen ich mindestens zwei völlig genervt beiseite gelegt habe (was sehr selten vorkommt), weil sich mir die beliebte Frage "Was will mir der Verfasser damit sagen?" nicht ansatzweise erschloss und ich den vielen Zeit- und Handlungsstrangsprüngen bereits in den ersten Kapiteln einfach nicht folgen konnte, nicht ein. Grundsätzlich zeichnen sich seine vielfach sozial-satirischen Werke aber durch schrägen, teilweise schwarzen Humor aus, die zu lesen eindeutig Freude bereitet.
Ein finnisches Dorf, knapp südlich des Polarkreises, stellt das Paradies hoch im Norden dar. Es ist als autarker Lebensort entstanden, nachdem die Bewohner etlicher Kleinstgemeinden es leid waren, jeden Sonntag mit ihren Rentierschlitten weite Wege auf sich zu nehmen, um die einzige Kirche weit und breit aufzusuchen. In Eigeninitiative, selbstverständlich nicht ohne Repressalien der finnischen Behörden, deren Uhren nicht anders ticken als hierzulande, erbauen ein paar Männer auf einem unberührten Naturstrich unter einigen witzigen Schwierigkeiten eine große hölzerne Kirche, Hütten zum Wohnen und Bauernhöfe für die Versorgung auserwählter Neubesiedler gleich mit dazu. Den Menschen in Ukonjärvi gelingt es, sich vollständig vom krisengeschüttelten Rest der Welt abzuschotten, der Untergang New Yorks oder eine Weltwirtschaftskrise interessieren sie ebenso wenig, wie der Ausbruch des dritten Weltkrieges. Selbst die Tatsache, dass die Sonne plötzlich im Westen aufgeht und im Norden ihren Lauf nimmt, bringt niemanden aus der Ruhe - so wird Weihnachten eben in Badehose gefeiert.
Bei diesem sehr unterhaltsamen Buch mit Einblicken in die nord-skandinavische Mentalität handelt es sich um eine wunderbare Karikatur all jener, die auf ihrem Weg raus aus Systemen, zurück zur Natur, zur Eigenständigkeit ohne Fremdbestimmung weder nach rechts noch nach links blicken, denen andere Zusammenhänge der Welt dabei völlig egal sind.
Wolfram Leinenweber: Hasentanz im Nahverkehr (2007)
Die satirischen Kurzgeschichten und wortspielerisch genial gestalteten Anekdoten des saarländischen Wahl-Kroaten, Journalisten und Schriftstellers Wolfram Leinenweber dürfte der ein oder andere aufmerksame Steemianer bereits lieb gewonnen haben.
Im vorliegenden Werk hat der Autor einige seiner Erzählungen, in denen es ihm wie immer gelingt, nahezu belanglos erscheinende Alltagsbegebenheiten zu witzigen Grotesken oder nachdenklich stimmenden menschlichen, oft kleinbürgerlichen, Tragödien zu formen und Charaktere mit spitzer Feder amüsant zu überzeichnen, gesammelt. Aufgelockert wird die Aneinanderreihung ganz unterschiedlicher Geschichten durch anspruchsvolle Lyrik, die teils sehr schön und voll Poesie ist, teilweise den Leser durch sprachliche Brutalität überrumpelt. Dabei ist bei letzteren Gedichten, in denen der Autor versucht, seine traumatisierenden Erlebnisse als Kriegsberichterstatter während der Jugoslawien-Kriege auf dem Balkan sicher auch verarbeitend darzustellen, mit der Wortwahl den realen Gräueltaten vermutlich noch lange nicht Genüge getan.
Leider ist die kurzweilige Lektüre seit geraumer Zeit vergriffen. Und so wünsche ich mir ganz dreist und eigennützig einfach mal eine baldige Neuauflage, nicht nur, damit diese unbedingte Leseempfehlung nicht für die Katz ist.
Zu guter Letzt soll/darf ich noch jemanden einladen, an der #Bookchallenge teilzunehmen. Ich bitte @patzakandreas auf die Bühne. Von dir, lieber Andreas, weiß ich immerhin, dass du jede Woche ein Buch liest - dann zeig doch mal her!
Werde ich mit einer zweiten Nominierung plötzlich übermütig? Es interessiert mich aber so sehr, was @knochenhd für einen Bücherstapel besitzt. Vielleicht hast du ja Lust, lieber Stefan, auch wenn du gerade wie wild mit deinem 20-Fakten-Beitrag beschäftigt bist.
Es gibt wohl keine festen Regeln, ihr könnt euch gern an die offenen "Vorgaben" von @mammasitta halten:
Vor einiger Zeit habe ich auf Facebook eine wunderschöne Bücherherausforderung angenommen und diese interessante Idee hat mir sehr gefallen. Ich bin gespannt, welche Bücher meine Freunde lesen.
Also, Ich werde nun sieben Tage lang meine Lieblingsbücher veröffentlichen, keine Rezension, kein Urteil, nur das Cover ohne Erklärung. Mit jedem Post werde ich mindestens eine andere Person nominieren, um dasselbe zu tun.
Wenn Jemand herausgefordert wird, bitte veröffentlicht das Cover eines Buches, das Euch besonders gefallen hat. Mach es siebenmal hintereinander. Verwendet diese 2 Hashtags: #bookchallenge und #steemit-austria und nominiert jedes Mal Jemanden, der zur Österreichischen oder deutschsprachigen Community gehört. Viel Spaß!