Dem aktuellen Wochenrücklick des BRenNgLAS ist zu entnehmen, dass die Chefredaktion in Kürze hohen politischen Besuch aus dem noch höheren Norden erwartet, was augenscheinlich ein ganzes Dorf in Aufruhr versetzt. In kollegialer Zusammenarbeit habe ich mich bereit erklärt, den Anwohnern ihre Vorbereitungen und den Umgang mit dem gemeinen Norddeutschen zu erleichtern, indem ich ihnen einige Ergebnisse meiner lebenslangen Studien auf einem kurzen Merkblatt zur Verfügung stelle, was hiermit geschieht.
Einleitend ist zu erwähnen, dass alle Behauptungen, Norddeutschland würde nördlich des Harzes, nördlich des hessischen Frankfurts gar, geographisch eingeordnet, für diesen Text außer acht gelassen werden. Der Norddeutsche, der hier genauer unter die Lupe genommen wird, ist dort angesiedelt, wo Störche Fußball (danke Wolfram) und Zebras Handball spielen. Wir betrachten also den Wikinger, den Süddänen, den echten Fischkopp.
Der gemeine Norddeutsche
Vorkommen
Eine enorme Ansammlung Norddeutscher trifft man also nördlich der Elbe, überwiegend in Schleswig-Holstein, an. Das ist nämlich „Der echte Norden“. War Schleswig-Holstein zunächst „Das Land der Horizonte“, setzte sich die letzte Landesregierung mit der Bezeichnung „Der echte Norden“ durch, ungeachtet dadurch entstehender außenpolitischer Spannungen zu Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland. Aber nun ist eine innerdeutsche Streitfrage zumindest geregelt: Der echte Norddeutsche lebt im echten Norden.
Vereinzelt wird der Norddeutsche auch südlich der Elbe gesichtet. Hierbei handelt es sich um rebellische Exemplare, die versuchen, die genetisch bedingte Skepsis allen und allem Fremden gegenüber, künstlich zu verleugnen. Tüdelkram!
Niemals aber wirst du den Norddeutschen in den Sommermonaten, also zwischen 1. März und 1. November, südlich seines Refugiums antreffen. Dieses Nesthockerverhalten dient der Gesundheit seiner empfindlichen Haut, welche ohne den Schutz strahlend grauen Himmels innerhalb von Sekunden ihre schneeweiße Ursprungsfarbe (manchmal auch weiß-gepunktet) in knallrot verwandelt.
Der Norddeutsche ist sehr heimatverbunden und verlässt sein gewohntes Habitat nur äußerst selten und ungern. Der Rekordsommer 2018 jedoch führte leider zu einer recht hohen Bevölkerungsfluktuation, viele Einheimische sind ausgewandert, so dass der Norddeutsche nun auch gehäuft nördlich des Skageraks, nahe dem Polarkreis in Norwegen und Finnland, in Grönland und auch in Sibirien angetroffen wird.
Lebensraum
Der Norddeutsche lebt zwischen den Meeren Nord- und Ostsee. Da das Land sehr flach ist, könnte er bei klaren Wetterverhältnissen von einer Küste zur anderen schauen. Hier wurde absichtlich der Konjunktiv eingesetzt, da es sich um eine Utopie handelt: Der Norden ist immer verregnet und wenn es nicht regnet, ist es neblig.
Für den sich hauptsächlich im Freien aufhaltenden Norddeutschen gibt es kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung. Gummistiefel und Öljacke bzw. Friesennerz, gegebenenfalls auch Windbreaker, sind gute Kleidung. Und selbstverständlich ist es kein Problem, in einem trockenen Sommer bei 14 bis 16 Grad Celsius in Badehose oder Bikini am Strand zu flanieren oder eine Wattwanderung zu unternehmen.
Der Norddeutsche wandert sehr gern, im Norden ist das Spazieren zwischen den Deichen nicht so beschwerlich wie im hügeligen Land. Das heißt aber nicht, dass der Norddeutsche grundsätzlich nicht hochgebirgstauglich wäre, denn der ein oder andere hat es schon geschafft, die höchste Erhebung des Nordens, den Bungsberg (167 m) zu erklimmen und das Gipfelkreuz unverletzt zu erreichen.
Im Norden ist es immer windig und der Wind kommt grundsätzlich von vorn. Bei Windstärken um die 10 spricht der Norddeutsche von „büschen pustig“, Orkane gehören in die Kategorie „steife Brise“. Sollte sehr selten einmal Windstille herrschen, fühlt der Norddeutsche sich in seiner vertrauten Umgebung nicht wohl, die Luft empfindet er ohne Bewegung als drückend, selbst bei Minusgraden spricht er in solchen Ausnahmesituationen von „schwül“.
Letztlich kann das Habitat des Norddeutschen nicht schöner beschrieben werden als in dieser Liebeserklärung von Mona Harry:
Sprache
Die Landessprache des Norddeutschen ist Plattdüütsch, als Amtssprache gilt Deutsch.
Leider hat die Amtssprache die Landessprache mehr und mehr verdrängt, so dass Plattdüütsch hauptsächlich nur noch in direkter Küstennähe, vornehmlich an der Nordseeküste, und im ländlichen Raum gesprochen wird.
Selbstverständlich hat der Norddeutsche sich noch einige Vokabeln erhalten, an der Aussprache des Hochdeutschen erkennt man ihn zudem problemlos. Er zieht sämtliche Vokale wenig intoniert in die Länge und verschluckt gern Endsilben. Weiter fällt seine Sprache durch nur selten eingesetzte Zischlaute und ein kaum genutztes scharfes „s“ auf. Letzteres wird in der Regel durch „t“ ersetzt, was dazu führt, dass das reguläre „t“ entweder ganz entfällt oder zum weichen „d“ umgeformt wird. Bsp.: „Scheißwetter“ = Schietwetter [schiedwäddää]
Es bedarf ausdauernder Beobachtungen, um diese Sprachnuancen zu entdecken, nur selten spricht der Norddeutsche überhaupt so viel, als dass er sich als Studienobjekt eignen würde. Der Norddeutsche gilt als wortkarg, wenig redselig.
De snackt nich veel!
Kommunikation
Der Norddeutsche ist freundlich und aufgeschlossen und so gehört eine Begrüßung zum höflichen Ritual: „Moin“. Moin geht immer, zu jeder Tages- und Nachtzeit (das Wort wird übrigens vom niederdeutschen „schön“ abgeleitet und hat sowieso nichts mit „Morgen“ zu tun). Aber einmal Moin reicht! Die Aussage, man erkenne Auswärtige an der Verwendung des doppelten Moin, ist im Ansatz korrekt. Es gibt aber gelegentlich auch Norddeutsche, die in überschwänglicher Laune „Moin, Moin!“ heraushauen. Diese gelten dann sofort als mit Vorsicht zu genießende Quasselstrippen (Sabbelmors).
Sprichst du seine Sprache, begrüßt du den Norddeutschen also mit „Moin“. Sei nun nicht zu erwartungsvoll, ein leicht angedeutetes Kopfnicken genügt als Antwort. Meist wirst du dabei nicht den Anflug eines Lächelns erkennen, das ist ganz normal und keinesfalls grimmig.
Wenn der Norddeutsche etwas sagt, dann hat das Hand und Fuß, mit ihm wird also nicht diskutiert. „Nee“ bedeutet immer „nein“ und „Jo“ alles andere. „Jo“ gilt als vollständiger Satz mit Subjekt, Prädikat und Objekt.
Zweifle die Aussagen des Norddeutschen niemals an. Wenn du fragst: „Wo ist denn hier das Meer?“, und du erhältst zur Antwort: „Kommt gleich“, dann glaube ihm!
Gleichsam ist der Norddeutsche eine durch und durch ehrliche Haut, er sagt immer gerade heraus, was er denkt (Jo). Verkneife dir spontane Reaktionen, überlege im Dialog immer um die Ecke: Der Norddeutsche spricht fließend ironisch, oft gewürzt mit einer Prise bitterem Sarkasmus.
Sozialverhalten
Wenn du einen Norddeutschen zur Begrüßung oder zum Abschied, wie in südlichen Regionen üblich, umarmen oder gar auf die Wange küssen willst, bringst du ihn in große Schwierigkeiten. Er muss sich verzweifelt fragen, an welchen engen Verwandten (Eltern, Kinder, Geschwister, Ehegatten) er sich nicht mehr erinnert.
Smalltalk oder eine Unterhaltung mit wildfremden Menschen sind für den Norddeutschen undenkbar, warmherzige, redefreudige Süddeutsche scheinen ihm sehr befremdlich und stoßen in der Regel auf emotionsloses Schweigen.
Nach einer relativ kurzen Kennenlernphase von zwei bis drei Monaten sind mit dem Norddeutschen Gespräche in bis zu fünf Sätzen möglich. Dadurch können sogar Freundschaften entstehen, die halten dann ein Leben lang. Sei aber auch hier äußerst vorsichtig bei der Annäherung: Verbale Bekundungen wie „Du bist mir eigentlich recht sympathisch“ kommen einem Heiratsantrag gleich.
Der Norddeutsche spart nicht nur an Worten sondern auch am Ausdruck von Emotionen. Ein anerkennendes Kopfnicken ist mit einem Begeisterungsausbruch gleichzusetzen, lässt der Norddeutsche sich zu einem gedehnten „Joa!“ hinreißen, ist er völlig aus dem Häuschen!
Gesellig ist der Norddeutsche meist nur unter seinesgleichen, wenn du Glück hast, kannst du in eine norddeutsche Sippe einheiraten und wirst, wenn du nicht allzu viel schnackst, auch anerkannt (ich meine, es ist @depot69, bei dem die Integration diesbezüglich gelungen ist). Nach einem Höflichkeitsaustausch (Alles klar? - Jo. Bei dir? - Jo.) sitzen die Norddeutschen mit etwas Abstand zueinander gern mit einem Getränk im Freien und schauen gemeinsam schweigend in den Himmel.
Ab und zu feiert der Norddeutsche auch gern. Wenn du einen zum Geburtstag einlädst, bedenke, dass Glückwünsche übermittelt durch ein Schulterklopfen gepaart mit den Worten „Jo, nä!“ sehr, sehr herzlich sind.
Der Norddeutsche hasst Karneval (Ausnahme Marne, die norddeutsche Karnevalshochburg. Dieses Städtchen befindet sich allerdings in Dithmarschen, was ohnehin als letztes Abenteuer Europas gilt). Nochmal: Er hasst Karneval. Besaufen kann er sich auch ohne Verkleidung.
Und wenn der Norddeutsche, der sonst nur Wasser und Tee trinkt, durch Bier und Köm (Korn) oder Brause (Limonade) und Köm (wieder Korn) oder Grog (heißes Wasser, Zucker, Rum) betüdelt (betrunken) ist, kann er auch seine Musik ertragen…