Folgende Tickermeldung verursachte eine kurzfristige Redaktionssitzung der Abteilung #ganzwenigtext:
Nur drei Teilnehmer beim Projekt #fotogedanken, Initiatorin @kadna macht die Pferde scheu!
Dank namentlich nicht genannter Informanten ist uns die Möglichkeit gegeben, hier einen Auszug aus dem streng geheimen Sitzungsprotokoll zu veröffentlichen. Da es sich um eine verbotene Tonaufzeichnung handelt, ist nicht genauer bekannt, welche Aussage wessen Mund der streng geheimen Sitzungsmitglieder entsprungen ist...
"Wir müssen den Karren aus dem Dreck ziehen!"
"Erzähl' mir nichts vom Pferd, du lässt dich doch nicht vor den Karren spannen."
"Nun, man hat schon Pferde kotzen sehen."
"Vielleicht kann man mit dir doch Pferde stehlen."
Nun, bei so viel Redewendelei wird trotz unerwarteten Abbruchs des Audiomitschnitts sicher deutlich, welche aktive Challenge-Verweigerin im weiteren Verlauf der Redaktionssitzung auserwählt wurde, die Teilnehmerzahl an Kadnas Projekt in die Höhe zu treiben, damit dieser am Ende nicht die Pferde durchgehen, sie also nicht die Nerven, gar die Beherrschung verlieren möge.
Jemand macht die Pferde scheu,
wenn er unnötig für Unruhe und Aufregung sorgt, jemanden grundlos ängstigt.
Diese Redensart stammt aus der Sprache der Fuhrleute, aus Zeiten, in denen statt motorisierter lebendige Pferdestärken Personen und Waren von Ort zu Ort transportierten.
Pferde sind typische Fluchttiere, sie sind besonders aufmerksam und sensibel, so dass sie schon beim kleinsten Anzeichen vermeintlicher Gefahr aufgeregt reagieren und scheuen. Scheue Pferde stellten ein beträchtliches Unfallrisiko dar, gefährdeten Wagen und Ladung, was natürlich jeden dazu anhielt, die Tiere nicht unnötig zu irritieren, sie sogar durch Scheuklappen vor visuellen Umweltreizen zu schützen.
Interessanterweise stammt die Redewendung aus dem Alten Testament, ab wann genau sie tatsächlich in den deutschen Sprachgebrauch eintrat, ist nicht überliefert, spätestens 1790 aber erklärte Johann Gottfried Eichhorn in seinem Werk Einleitung ins Alte Testament, Dritter Theil die Herkunft. Verzeiht mir, dass ich mich nicht tiefer eingelesen habe, die Grundaussage ist aber, dass die Pferde eines Propheten grundlos scheuten, als sie auf dem Weg nach Babylon in der Ferne Kamele entdeckten, völlig harmlose Tiere, den erregten aber fremd.
Die Erzählung vom Pferd
ist auch uralten Ursprungs, bezieht sie sich auf die griechische Sage um das Trojanische Pferd. Datiert ist die legendäre Einnahme des historischen Trojas gegen Ende der Bronzezeit, ca. 800 v.Chr.
Umgangssprachlich und salopp lassen wir uns ungern etwas vom Pferd erzählen, denn der Erzähler redet Unsinn, sagt nicht die Wahrheit, lügt.
Nach über zehn Jahre langer, erfolgloser Belagerung Trojas, entwickelte der griechische Sagenheld Odysseus eine List und zog sich nach dem Erbauen eines riesigen Holzpferdes, in dessen Innern sich griechische Soldaten versteckten, von den Mauern Trojas zurück. Der heldenhafte Grieche Sinon erzählte den Trojanern, es handele sich bei dem Pferd um ein Weihgeschenk der Griechen an die Göttin Athene und die Stadt, innerhalb derer Mauern das Pferd aufgestellt sei, stünde unter dem Schutz der Athene, sei vor Angriffen sicher.
Sinon log die Trojaner also dreist an. Die gutgläubigen Trojaner schafften das Holzpferd in die Stadt, der Rest ist Geschichte.
Umgangssprachlich und eher abwertend ausgedrückt ließ sich der gute Sinon von Odysseus vor den Karren spannen, indem er sich in Gefahr begab, um die Interessen des eindeutig bekannteren Homer-Helden zu vertreten. Heute wird diese Redensart unbekannten zeitlichen Ursprungs angewandt, wenn jemand für die Zwecke eines anderen benutzt, instrumentalisiert wird.
Ebenfalls aus dem Reich der Pferde- und Kutschersprache stammt der Ausdruck "Den Karren aus dem Dreck ziehen", wenn besagtes Vehikel möglicherweise wegen scheuender Pferde verunglückte oder simpel im Morast festgefahren wurde. So ungewiss ihr zeitliches Auftauchen in der allgemeinen Umgangssprache, so gewiss ist die heutige Bedeutung dieser Redewendung: Es wird ein Ausweg aus einer schwierigen, verfahrenen Situation gefunden, Hilfestellung geleistet und Unterstützung angeboten.
Ob ein Karren in völlig ausweglosen Situationen aus dem Dreck gezogen werden kann, hängt oft von kleinen Wundern ab und so sagt man aufgrund einer Eigenart der Pferdeanatomie umgangssprachlich "Man hat schon Pferde (vor der Apotheke) kotzen sehen", wann immer etwas, das man für ausgeschlossen und unmöglich hält, passiert.
Pferde können sich physiologisch nicht übergeben, da ein starker Schließmuskel zwischen Speiseröhre und Magen dafür sorgt, dass aufgenommene Nahrung sich nur in Richtung Darm bewegen kann. Koliken können deshalb auch für Pferde sehr gefährlich werden, die Tiere können ihre starken Magen- und Darmprobleme durch Erbrechen nicht selbst lindern. Bei Schlundverstopfungen oder sehr hohem Flüssigkeitsanteil der Nahrung, kann diese aber doch mal den Rückwärtsgang einlegen, was sehr, sehr selten vorkommt, eigentlich eben unmöglich ist und somit einem kleinen Wunder entspricht.
Die Apotheke in der Redewendung soll das Unmögliche wohl nur noch mehr unterstreichen, dort gäbe es ja bestimmt ein Mittelchen für jedes Leiden.
Zu guter Letzt ist jemand, mit dem man Pferde stehlen kann, eine vertrauenswürdige, zuverlässige Person, mit der man etwas Außergewöhnliches unternehmen, auch schwierige, heikle, gar verbotene Vorhaben durchführen kann.
Diese Redewendung kommt aus der Zeit, in der Pferde als Arbeitstiere noch sehr wertvoller Besitz waren und Pferdediebstahl besonders hart bestraft wurde. Die redensartliche Verwendung ist seit dem frühen 17. Jahrhundert belegt, 1621 schreibt Zacharias Theobald in seinem Werk Hussiten-Krieg:
"Jetzt waren sie seiner Söhn und deß Rosenbergers beste Freund, und wie man im Sprüchwort sagt, hetten sie miteinander dörffen Pferd wegreiten"
Quelle
Und so habe ich mich wunderbarerweise durch das Bild von @kadna inspirieren lassen, den Gäulen auf's Maul zu schauen und diesen Beitrag verlässlich innerhalb der Siebentagesfrist, wie bereits @w74 ohne Navi und die Initiatorin selbst, im Rahmen der #fotogedanken verfasst - hoffentlich unter richtiger Verwendung des Genitivs und ganz bestimmt ohne Pferdefuß ;-)
Weitere aufgedeckte Redensarten
- "Butter bei die Fische" u.a.
- "Durch die Lappen gehen" u.a.
- "Die Kurve kratzen" u.a.
- "Ich versteh nur Bahnhof" u.a.
- "Der rote Faden" u.a.
Und ein paar Wörter auf dem Abstellgleis
- Kotze, bächeln, blümerant
- Schnurre, schmökern, Fidibus
- schnöde, Mammon
- Antlitz, Gesäß
- Kokolores, hanebüchen, Firlefanz
- Wichsen
Bilder mit Dank an Clker-Free-Vector-Images, hrohmann, Momentmal und Antranias von Pixabay sowie @kadna in ihrem Aufruf zur Teilnahme an #fotogedanken